Zur Frage des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes im Zusammenhang mit Erleidung einer Straftat

SG Berlin, Urteil vom 22.02.2011 – S 25 U 406/10

Zur Frage des gesetzlichen Unfallversicherungsschutzes im Zusammenhang mit Erleidung einer Straftat

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 wird aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass das Ereignis vom 13. November 2009 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Streitig zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung eines Ereignisses vom 13. November 2009 als Arbeitsunfall.

Die Klägerin befand sich am 13. November 2009 bei ihrer Arbeit an einem Blumenstand, als ihr geschiedener Ehemann mit einem geliehenen Kleintransporter in das Geschäft hinein fuhr und sie schwer verletzte.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2009 lehnte die Beklagte eine Anerkennung dieses Vorfalls als Arbeitsunfall ab. Aus den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft habe sich ergeben, dass es sich bei der Tat des geschiedenen Ehemannes der Klägerin um eine solche aus persönlichen Motiven – persönliche Rache und Suizidversuch – gehandelt habe, die nicht in ursächlichem Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit gestanden habe. Es bestehe dann eine widerlegbare Rechtsvermutung, dass der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gegenüber der überragenden Bedeutung des rechtlich wesentlichen persönlichen Motivs zurücktrete. Das heiße, die Tat sei nur gelegentlich der versicherten Tätigkeit erfolgt und es bestehe deshalb kein Versicherungsschutz.

Diese Rechtsvermutung sei hier nicht widerlegt. Aus der Aussage des Lebensgefährten der Klägerin gegenüber der Polizei ergebe sich, dass der Täter die Klägerin bereits früher terrorisiert und ihr Drohbriefe geschrieben habe. Die Klägerin selbst habe bei der Befragung im Krankenhaus angegeben, dass der Täter ihre Lebensumstände und auch ihre Wohnung nach der Scheidung gekannt habe. Daher sei davon auszugehen, dass der Täter den Anschlag auch bei anderer Gelegenheit und in anderer Weise hätte verüben können.

Hiergegen legte die Klägerin über ihren Verfahrensbevollmächtigten mit am 23. Dezember 2009 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben Widerspruch ein. Der Vorfall habe in erster Linie dem Suizid des geschiedenen Ehemannes der Klägerin dienen sollen. Er habe sich eher zufällig im Bereich des Blumengeschäftes ereignet. Eine gezielte Tötungsabsicht von Dritten habe nicht bestanden. Auch Rache sei auszuschließen, da seit längerer Zeit kein Kontakt mehr zwischen ihr und ihrem geschiedenen Ehemann bestanden habe.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 29. April 2010, dem Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin zugegangen am 4. Mai 2010, zurück. Die vorliegenden Unterlagen der Polizei bestätigten, dass es sich bei dem Vorfall um einen aus der privaten Sphäre kommenden Konflikt mit dem ehemaligen Ehemann der Klägerin gehandelt habe. Auch die Erstangaben des Täters ließen eine gezielte Tötungsabsicht erkennen. Er sei davon ausgegangen, die Klägerin in dem Blumengeschäft zu treffen. Unter dem Eindruck einer vorhergehenden Tat am gleichen Tage, bei der der Täter seine aktuelle Ehefrau quälte und habe töten wollen, sei davon auszugehen, dass der Fahrt in den Laden eine gezielte Tötungsabsicht aus niederen Beweggründen zugrunde gelegen habe. Die Fahrt in den Blumenstand könne nicht als eher zufällig dargestellt werden.

Am 3. Juni 2010 erhob die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten Klage vor dem Sozialgericht Berlin. Die Behauptungen der Beklagten, ihr früherer Ehemann sei in gezielter Tötungsabsicht aus niederen Beweggründen in den Blumenstand gefahren, könne weder aus der Akte, noch aus den sonstigen Umständen nachvollzogen werden. Bei ihren Äußerungen bzw. denjenigen ihres Lebensgefährten zu früheren Drohungen und Strafanzeigen handele es sich um acht Jahre alte Vorfälle, die sich im Zuge des Scheidungsverfahrens ereignet hätten. Seither habe es weder schriftlichen, noch persönlichen Kontakt zu ihrem früheren Ehemann gegeben. Dieser habe zudem in seiner Beschuldigtenvernehmung vom 14. November 2009 angegeben, es sei seine ausschließliche Absicht gewesen, sich umzubringen. Ursprünglich habe er mit seinem Wagen vor einen Baum fahren wollen, habe sich dann jedoch offenbar in einem psychischen Ausnahmezustand entschlossen, in den Blumenladen zu fahren. Motiv seines Suizidversuchs sei gewesen, sich der Strafverfolgung wegen der Folterungen seiner derzeitigen Ehefrau zu entziehen. Ihr Leben – dasjenige der Klägerin – habe in seinen Überlegungen keine Rolle gespielt. Seine Suizidabsicht habe er dann während der Untersuchungshaft in die Tat umgesetzt. Schließlich habe der Schädiger aus dem Winkel der Zufahrt des Lastkraftwagens auf den Blumenstand nicht erkennen können, ob sich dort überhaupt jemand aufgehalten habe. Opfer hätte auch ein völlig unbeteiligter Dritter werden können.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 aufzuheben und

festzustellen, dass das Ereignis vom 13. November 2009 einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung darstellt.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.

Die Kammer hat im Termin zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten am 21. Februar 2011 den derzeitigen Lebensgefährten der Klägerin, R K, als Zeugen vernommen. Zudem hatte die Klägerin selbst zu den Umständen des streitgegenständlichen Ereignisses vorgetragen.

Die Gerichts- und Verwaltungsakten haben vorgelegen und waren Gegenstand der Entscheidung. Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten sowie des übrigen Sach- und Streitstandes wird auf sie Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte gemäß § 124 Absatz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden. Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt.

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung von § 55 Absatz 1 Nr. 3 SGG.

Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 14. Dezember 2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

Das Ereignis vom 13. November 2009 stellt einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung dar.

Arbeitsunfälle sind nach § 8 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit.

Die Klägerin war als Unternehmerin gemäß § 3 Absatz 1 Nr. 1 in Verbindung mit der Satzung der Beklagten versichert und befand sich zum Zeitpunkt des streitigen Vorfalls an ihrer Arbeitsstätte, wo sie mit der Anfertigung eines Blumengestecks befasst war. Somit stand sie grundsätzlich unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

Dieser Unfallversicherungsschutz entfällt nicht schon deshalb, weil die Klägerin einem gegen ihre Person gerichteten Anschlag zum Opfer gefallen ist. Die Kammer erachtet die vorliegende Fallkonstellation, bei der die Klägerin an ihrer Betriebsstätte Opfer einer Amokfahrt wurde, mit derjenigen eines Überfalls für vergleichbar. In beiden Fallkonstellationen liegt ein Angriff auf die körperliche Unversehrtheit des bzw. der Versicherten vor.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kommt es bei der Frage, ob ein Überfall als Arbeitsunfall anzusehen ist, in der Regel entscheidend auf die Beweggründe des Angreifers an (BSG Urteil vom 30. Juni 1998, Az. B 2 U 27/97 R, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 29. April 1980, Az. 2 RU 95/79, BSGE 50, 100, 104; BSG Urteil vom 29. Mai 1962, Az. 2 RU 170/59, BSGE 17, 75, 77; BSG Urteil vom 2. Juni 1959, Az. 2 RU 221/56, BSGE 10, 56, 60; BSG Urteil vom 10. Dezember 1957, Az. 2 RU 270/55, BSGE 6, 164, 167; so auch: Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 12. Februar 2008, Az. L 3 U 82/06, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 22. Juni 2006, Az. L 2 U 146/03, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 10. Juli 2003, Az. L 2 U 97/01, zitiert nach Juris).

Die maßgebliche Bedeutung der Beweggründe des Angreifers führt jedoch nicht dazu, dass es unbedingt eines nachgewiesenen betriebsbezogenen Tatmotivs bedarf, um den inneren Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit herzustellen. Dieser Zusammenhang ist nämlich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts von vornherein grundsätzlich gegeben, sofern sich der Versicherte in seiner Arbeitsstätte befunden hat, wo im fraglichen Zeitpunkt eine zur Gewalttat entschlossene Person seiner habhaft werden kann. Dieser Zusammenhang verliert nur dann an Bedeutung, wenn die Beweggründe des Angreifers dem persönlichen Bereich der Beteiligten zuzurechnen sind. Dann bedeutet das Antreffen des Versicherten an der Arbeitsstätte oft nur eine von vielen Gelegenheiten für den Angreifer, die verfeindete Person zu überfallen, die ihm genauso gut zu anderer Zeit an anderer Stelle erreichbar gewesen wäre. Mit der Erwägung, dass in diesen Fällen die betriebsfremden Beziehungen zwischen Täter und Versichertem vorherrschen und den Zusammenhang des Überfalls mit der versicherten Tätigkeit als rechtlich unwesentlich zurückdrängen, rechtfertigt sich in solchen Fällen die Versagung des Unfallversicherungsschutzes (BSG Urteil vom 30. Juni 1998, Az. B 2 U 27/97, zitiert nach Juris; BSG Urteil vom 29. Mai 1962, Az. 2 RU 95/79, BSGE 17, 75, 77 m. w. N.; Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 12. Februar 2008, Az. L 3 U 82/06, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 22. Juni 2006, Az. L 2 U 146/03, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 10. Juli 2003, Az. L 2 U 97/01, zitiert nach Juris, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. November 2008, Az. L 31 U 394/08, zitiert nach Juris).

Die Versagung des Versicherungsschutzes kommt dann in Betracht, wenn der bzw. die Versicherte einem gegen seine Person gerichteten geplanten Anschlag zum Opfer gefallen ist und alle möglichen Tatmotive des Täters ausschließlich im Zusammenhang mit dem persönlichen Bereich des Versicherten und dortigen Auseinandersetzungen zu suchen sind, so dass ein betriebsbezogenes Motiv fehlt.

Eine solche Eingrenzung der denkbaren Tatmotive ist im vorliegenden Fall aber gerade nicht möglich.

Zwar sprechen einerseits einige Umstände für ein persönliches Motiv des Täters: Dem Täter waren der aktuelle Wohnort seiner geschiedenen Ehefrau und ihre Lebensumstände bekannt. Zudem hatte er, bevor er in den Blumenstand der Klägerin fuhr, am selben Tage seine zweite Ehefrau, die gleichfalls von den Philippinen stammt, mit einem Messer attackiert. Vor diesem Hintergrund ist es denkbar, dass ein erneuter Beziehungskonflikt zwischen dem Täter und seiner jetzigen Ehefrau Anlass auch für die hier streitgegenständliche Tat war. Für ein persönliches Motiv des Täters mag auch sprechen, dass der derzeitige Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge K, gegenüber den ihn vernehmenden Polizeibeamten am 13. November 2009 geäußert hatte, der Täter habe die Klägerin bereits seit Jahren durch Drohbriefe terrorisiert.

Andererseits bestehen jedoch ebenfalls Anhaltspunkte, die gegen ein persönliches Motiv des Anschlags vom 13. November 2009 sprechen: Wie die Klägerin und ihr Lebensgefährte, der Zeuge R K, im Erörterungstermin bestätigten, bestand nach der Scheidung der Klägerin von ihrem früheren Ehemann im Jahr 2003 kein Kontakt mehr zwischen beiden. Gestützt werden diese Angaben auch durch den in den Akten befindlichen Bericht der Reha-Beratung der Beklagten vom 4. Dezember 2009. Danach hatte der Täter nach der Scheidung auch zu den gemeinsamen Kindern mit der Klägerin keinerlei Kontakt mehr.

Darüber hinaus gibt es auch Anhaltspunkte, die für ein berufsbezogenes Motiv des Anschlags vom 13. November 2009 sprechen: Der Täter hatte vor seiner Scheidung einen weiteren Blumenstand in der Nähe des Standes der Klägerin betrieben. Nach der Trennung führte lediglich die Klägerin ihren Blumenstand weiter, ihr ehemaliger Ehemann musste den seinen aufgeben. Er selbst lebte – soweit aus den Akten ersichtlich – lediglich von einer kleinen Rente. Der derzeitige Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge K, gab gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten am 13. November 2009 an, der Täter habe „vermutlich nicht damit leben können, dass seine Ex-Frau gutes Geld verdiene und er selbst nur von Hartz IV lebe“. Diese Aussage konnte er in dem Erörterungstermin zwar nicht bestätigen. Die Kammer misst den zeitnahen und spontanen Angaben des Zeugen gegenüber dem vernehmenden Polizeibeamten – am Tag der Tat selbst – jedoch besondere Bedeutung zu. Zudem wurde die Richtigkeit dieser Angaben durch den Zeugen K auch nicht ausdrücklich in Abrede gestellt – er erinnerte sich nur nicht mehr. Vor diesem Hintergrund liegt es im Bereich des Möglichen, dass das Motiv des Täters für die Fahrt in den Blumenstand der Klägerin auch Neid auf ihren relativen wirtschaftlichen Erfolg war. Eine solche Missgunst des Täters als Motiv seiner Tat erscheint insbesondere vor dem Hintergrund denkbar, dass er zur Zeit seiner Partnerschaft mit der Klägerin gleichfalls einen Blumenstand in der Nähe betrieben hatte, diesen dann aber im Zuge der Trennung aufgeben musste.

Weiterhin spricht für ein berufsbezogenes Motiv, dass es im Jahr 2002 zu einem Diebstahl des ehemaligen Ehemannes der Klägerin in deren Blumenstand kam. Der Täter wollte die Klägerin also wirtschaftlich schädigen. Diese hatte seinerzeit auch die Tat gegenüber der Polizei angezeigt. In diesem Zusammenhang sagte der Zeuge K am 13. November 2009 gegenüber dem ihn vernehmenden Polizeibeamten aus, dass der ehemalige Ehemann der Klägerin ihr diese Anzeige nie verziehen habe. Zwar äußerte die Klägerin selbst im Erörterungstermin, dass sie nicht davon ausgehe, dass ihr ehemaliger Ehemann ihr diese Anzeige nachhaltig verübelt habe. Allerdings bleibt auch diese Annahme spekulativ. Möglich erscheint, dass der Täter der Klägerin die damalige polizeiliche Anzeige nachtrug. Der Täter hatte nämlich auch seinerseits der Klägerin mit Anzeigen gedroht – etwa gegenüber dem Finanzamt, wie sich aus der Befragung des Herrn K durch den Polizeibeamten KOK L am 13. November 2009 ergibt. Möglicherweise hat sich der Groll des Täters über die polizeiliche Anzeige zusammen mit dem Neid auf den weiterhin erfolgreich betriebenen Blumenstand zu einer Gemütslage verdichtet hat, die mitentscheidend war für den Anschlag auf den Blumenstand.

Schließlich muss in Überlegungen zur Motivlage auch der Umstand einbezogen werden, dass durch den Anschlag vom 13. November 2009 die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin vernichtet wurde. Indem der Täter in den Blumenstand raste, verwüstete und zerstörte er diesen. Dieses Taterfolges konnte er sich gewiss sein – nicht hingegen konnte er mit Sicherheit davon ausgehen, dass durch den Anschlag die Klägerin schwer verletzt oder gar getötet werden würde. Zwar gab er in seiner polizeilichen Vernehmung an, die Klägerin sei jeden Tag in dem Blumenstand gewesen. Zugleich gestand er jedoch, sich nicht vergewissert zu haben, ob sich jemand in dem Blumenstand befand oder nicht. Auch habe er keine Person wahrnehmen können, als er in den Blumenstand raste. Die Klägerin selbst und der Zeuge K bestätigten in dem Erörterungstermin, dass es wegen eines Rundum-Schutzes mit Plexiglas nicht möglich gewesen sei, den Blumenstand von außen einzusehen.

Vor diesem Hintergrund konnte – aus der Sicht des Täters – nur eine völlige Zerstörung des Blumenstandes als gesicherter Taterfolg gelten, nicht jedoch, dass zugleich auch die Klägerin schwer verletzt oder gar getötet werden würde. Es bleibt die denkbare Möglichkeit, dass es dem Täter zuvörderst darauf ankam, die Klägerin ihrer wirtschaftlichen Existenz zu berauben, dass aber die Vernichtung ihrer physischen Existenz nur als „Nebenfolge“ einkalkuliert wurde. Selbst wenn man von einer Tötungsabsicht des Täters ausgeht, bleibt jedoch – angesichts der gleichzeitigen und gezielten Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz der Klägerin – die Möglichkeit eines berufsbezogenen Motivs für den Tötungsversuch.

Der Täter hat sich während der Untersuchungshaft das Leben genommen, so dass eine Befragung seiner Person zu den Motiven der Tat ausscheidet. Gegenüber den Polizeibeamten am Tatort erklärte er spontan, er habe sich durch den Unfall das Leben nehmen wollen. Entsprechendes gab er auch in seiner polizeilichen Beschuldigtenvernehmung am 14. November 2009 an. Hier äußerte er sogar, den Transporter gemietet zu haben, um in Suizidabsicht gegen einen Baum zu fahren. Auf die Frage hin, wann er sich entschlossen habe, in den Blumenladen zu fahren, gab er an, dies könne er nicht sagen. Ebenso wenig machte er Angaben dazu, ob er seine frühere Ehefrau habe töten oder verletzen wollen.

Im Ergebnis dieser Ansatzpunkte ergibt sich kein konkretes Tatmotiv. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der – insbesondere im Vergleich zum Täter – wirtschaftlich erfolgreichen Tätigkeit der Klägerin als Floristin und der Fahrt des Täters in den Blumenstand ist aber jedenfalls denkbar, so dass – wenn die Klägerin nicht erfolgreich weiterhin Blumen an einem eigenen Stand verkauft hätte – auch ein Anschlag auf ihre Person entfallen wäre.

Nach alledem ergaben sich für die Kammer Hinweise sowohl auf eine Beziehungstat als auch auf eine Tat im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin. Für keine dieser beiden Alternativen haben sich letztlich ganz konkrete Hinweise oder gar Beweise ergeben. Es kann aber gerade nicht davon ausgegangen werden, dass alle möglichen Tatmotive ausschließlich im Zusammenhang mit dem rein persönlichen Bereich der Klägerin zu suchen sind. Das letztendliche Motiv der Tat bleibt damit ungeklärt.

Die Ungewissheit darüber, aus welchen Motiven heraus die Klägerin erheblich verletzt wurde, geht zulasten der Beklagten, denn sie trägt bei der gegebenen Sachlage die objektive Beweislast. Da die Klägerin sich vorliegend in ihrer Arbeitsstätte befunden hat, als sie angefahren wurde, obliegt es der Beklagten – will sie den Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit widerlegen – zu beweisen, dass ausschließlich persönliche Tatmotive die Tat begründeten. Nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast geht die Nichterweislichkeit einer Tatsache zulasten desjenigen, der daraus ein Recht herleiten will. Dies ist vorliegend die Beklagte, da ausschließlich persönliche Tatmotive nicht nachweisbar sind (vgl. auch Hessisches Landessozialgericht Urteil vom 12. Februar 2008, L 3 U 82/06, zitiert nach Juris; Sächsisches Landessozialgericht Urteil vom 22. Juni 2006, Az. L 2 U 146/03, zitiert nach Juris, Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. November 2008, Az. L 31 U 394/08, zitiert nach Juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

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